Über mich   

      Hermann von Saalfeld wurde 1928 in München geboren. Bestimmend für ihn wurden einerseits das musische Klima des Regensburger Elternhauses sowie das familiäre Erbe des theaterbegeisterten Urgroßvaters, eines malenden und zeichnenden Großvaters und der musizierenden Eltern. Andererseits wurde Saalfelds Biografie entscheidend geprägt durch die Kindheit und Jugend im nationalsozialistischen Deutschland und durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs als Soldat und späterer Kriegsgefangener.

1948 holte er das Abitur nach, entschied sich für eins seiner beiden Talente, für die Bildende Kunst, und kam als Kunsterzieher und späterer Universitätsdozent zu seinem „Traumberuf “: 1960 wechselte er aus dem bayerischen Gymnasialdienst an die Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität und lehrte dort bis 1991 Zeichnen, Karikatur und Trickfilm.

Ebenfalls seit 1960 lebt Hermann von Saalfeld in Ingelheim.
Verheiratet ist er mit der Pianistin Monica von Saalfeld und hat mit ihr drei Kinder: Katharina, Franz und Peter von Saalfeld.


Aus meiner Jugendselbstbiografie: “Freust Du Dich schon”:

Schon als Kind, vielmehr jetzt im Alter bewegte und bewegt mich die Frage nach dem Ergehen und Denken meiner Vorfahren. Die Altgier scheint bei mir nicht geringer als die Neugier ausgebildet. Sollte da ein Defizit durch den frühen Tod der Mutter vorliegen? Dann war mein Vater auch nicht eben freigiebig mit Mitteilungen aus seiner und seiner Eltern Vorzeit. Dem gegenüber bin ich geradezu ein Schwätzer. Und vor allem meinen Kindern möchte ich sagen, wie es mir ergangen ist. Sie können's vielleicht brauchen. 

Dazu bin ich der Meinung, die generellen und individuellen Erlebnisse meiner Kinder- und Jugendjahre lohnten die Aufzeichnung.  Das Aufwachsen zwischen einem letzten Zipfel feudaler Familienherkunft und früh erfahrenen zeitbedingten äußersten Härten, kann ich nachträglich als ideale Schule dieses Daseins erkennen.  Von äußerem Glanz früh gesättigt, hat mir das nachfolgende Elend die Dünnhäutigkeit der irdischen Existenz eingebleut. 
Die Erfahrung vom Glück des Lebensnotwendigen und der Belanglosigkeit alles darüber hinausgehenden hat mir zu einem dankbaren und zufriedenen Dasein verholfen.  Ich freue mich anhaltend an Wasser und Brot, Lager, Dach und Kleidung, weil mir die Selbstverständlichkeit dieser Dinge beizeiten ausgetrieben worden ist.  Den frühen Tod nächststehender Menschen möchte ich dagegen doch als erschwerend einordnen, es sei denn, ich wollte ihr fürsorgendes Walten über dieses Leben hinaus verspürt haben.

Auf einer recht irdischen Stufe, jedoch da in elitären Gefilden, siedelt das absolut nicht allgemeine menschliche Bedürfnis nach freier Meinungsäußerung.  Nach den diesbezüglichen Defiziten bis1945 konnte ich dem ein Gymnasial- und Hochschullehrerleben lang voll nachkommen, ohne auch nur dem Versuch einer Einschränkung zu begegnen.  Welch gnädiger Zeitabschnitt in einer glücklichen Weltregion!  Wenn eben während meiner Aufzeichnungen sich da ahnungslose oder alt verbiesterte Ansätze zu einem Rückfall in braune Atavismen begeben, so will ich hoffen, mein Bericht trüge ein Quäntchen zur Genesung bei.


Episode aus jenem tschechischen Gefangenenlager in der Linzer
Vorstadt von Budweis, über dessen Eingang groß zu lesen stand:
Auge um Auge, Zahn um Zahn !

Einmal dachte ich, nun sei ich wohl dran. Mein Name erscholl weit über den Appellplatz. Ich rannte zu jenem Fenster, aus dem gerufen worden war. Dort saß ein arger Prügelmann und sah mich starr an. "Tisi“ "von"'? fragte er dann plötzlich. "Ano!" (Jawohl) Wieder längere Betrachtung. "Tak jdi!" (Also geh!) Ich entfernte mich erleichtert und eilig. Nachträglich vermute ich, dieser wie die meisten der dortigen Bewacher war der deutschen KZ-Haft entronnen und hatte vielleicht vom 20.Juli vernommen.

Eine härtere Probe und viel größere Errettung stand mir bevor. Dazu muß ich weiter ausholen. Wir waren ja doch als Arbeitskräfte einbehalten worden und den Tag über an verschiedenen Orten außerhalb des Lagers eingesetzt.  Ich hatte das Pech gehabt, gleich in der härtesten Gruppe zu landen. Sie nannte sich schlicht "Draha“, d.h. Bahn. Man war damit beschäftigt, auf dem schwer zerbombten Budweiser Bahnhof Schutt zu räumen.

Als ich das erstemal dabei war, staunte ich nicht wenig, mit welch wütender Hast sich auf ein entsprechendes Kommando hin jedermann auf die dort bereitstehenden Schaufeln stürzte bzw. man sich teilweise um diese Geräte balgte. Nach einer Viertelstunde wußte ich’s genau. Die Schaufel konnte dort zum Schicksal werden. War sie nämlich stumpf und vorne ein wenig umgeknickt, so kam man mit dieser argen Mischung von Steinbrocken, Holzsplittern, Stoff und sonst noch allerlei absolut nicht voran und ermüdete dabei rasch. 
Das aber konnte einem Todesurteil nahe kommen, denn die Bewacher kontrollierten ständig den zügigen und pausenlosen Fortgang der Arbeit. Machte jemand schlapp, wurde er erst einmal geprügelt bis er wieder Tritt faßte oder umfiel.

Die Erledigten mußten im Laufschritt fortgetragen werden. Mittags gings im Geschwindschritt zurück ins Lager, um die Dörrgemüsesuppe zu essen. Danach ebenso zurück an die dann neu zu erobernde Schaufel. Während ich aus dem Loch nach oben schaufelte, was ein anderer oben weiter beförderte, bekam ich ohne erkennbaren Anlaß einen dumpfen Schlag von oben.  Mein Obermann war ohnmächtig voll auf mich heruntergekommen. Anschrei, ob ich ihn erschlagen hätte. Sein Zustand lohnte offensichtlich keine Prügel und das Laufschrittkommando trat in Aktion. 

Es war mittags erheblich warm. Nach kurzer Zeit floß jedem der Schweiß übers Gesicht.  Gemischt mit dem dichten Staub brannte das ekelhaft in den Augen. Nur einmal wischte ich mir mit dem Ärmel übers Gesicht.Schon erscholl der Anpfiff  "Schlafen's nicht ein bei der Arbeit."

Dieses hatte ich also circa vierzehn Tage lang mitgemacht, als mir abends ein schweres Mißgeschick widerfuhr. Da bekam man im Lager die Brotration von 350 g. Morgens gab es nur eine kaffeeartige Brühe. Dazu und als Lebensretter bis zum Drahtverhau mußte das Brot reichen. Und dort verließ mich die Beherrschung.  Ich verschlang die Portion bis zum letzten Krümmel. Dann saß ich da und spürte das Unheil kommen. Morgen mußte ich schlapp machen, würde womöglich erschlagen werden und kein Mensch würde je erfahren, wie und wo ich abgeblieben war. 
Die totale Einsamkeit kroch in mir hoch und  ich tat, woran ich während all der bisherigen Greuel und Strapazen nicht einmal gedacht hatte!  Nun zweifelte auch ich ernstlich an der Existenz Gottes. Das hatte ich noch nicht zu Ende gedacht, als der ärgste Schläger des Lagers durch Tür trat mit der Frage: "Wer ist hier der Jüngste?" Man wies auf mich, und er gab mir eine Brotration. Niemand verstand, waum ich nun heulte.

Heute bezeichne ich diesen Prügelmann als einen „Funktionsengel”.